Kolumne: Michael Springer
Am 20.8.2019 beschloß die Bezirksverordnetenversammlung von Neukölln (BVV) eine geschichtliche Aufarbeitung des Straßennamens „Wissmannstraße“ zu initiieren. Die Verstrickung und Täterschaft des Namensgebers Herrmann von Wissmann (1853-1905) in Kriegszüge und Massaker der deutschen Kolonialarmee an der afrikanischen Bevölkerung erfordert heute eine kritische Aufarbeitung der Kolonialgeschichte.
Herrmann von Wissmann trug als Reichskommissar und Gouverneur von damals Deutsch-Ostafrika ((heute Tansania, Burundi und Ruanda) die Verantwortung für eine barbarische Kriegsführung.
Ziel der Aufarbeitung der Geschichte soll nach dem BVV-Beschluß in der Drucksache 0089/XX – Geschichtliche Aufarbeitung Wissmannstraße eine Umbenennung der Wissmannstraße sein:
Das Bezirksamt wird gebeten, im Rahmen eines Dialogprozesses mit den Anwohner*innen der Wissmannstraße eine geschichtliche Aufarbeitung des Straßennamens zu initiieren. Das Ziel soll die Umbenennung der Wissmannstraße sein:
„Die Anwohner*innen und die weiteren am Prozess Beteiligten sollen aktiv sowohl in den Findungsprozess eines neuen Straßennamens als auch in die Entscheidung der Umbenennung einbezogen werden. Dazu schlagen wir vor, die Straße nach einer Frau zu benennen, die in Neukölln gelebt und/oder gewirkt hat oder einen inhaltlichen Bezug zum Thema Antikolonialismus besaß.“
Umbenennung Wissmannstraße
Bis zum bis zum 26. Juli 2020 können Vorschläge für eine Umbennenung in einem Online-Verfahren auf der Internetseite des Bezirksamts Neukölln eingereicht werden.
Aus den Vorschlägen wählt eine Jury Namen aus und schlägt sie der Bezirksverordnetenversammlung von Neukölln zur Wahl vor. Die Jury besteht aus Expertinnen und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft sowie einer/einem Bürgervertreter*in aus der Wissmannstraße. Sollten keine geeigneten Namensvorschläge gemäß den oben genannten Kriterien eingereicht werden, erarbeitet die Jury eigene Namensvorschläge.
Neuer Namensgeber für die Wissmannstraße?
Das Pro- und Contra einer Namensgebung im Fall Wissmannstraße ist durch örtliche Initiativen wie die Werkstatt der Kulturen, durch den Postkolonial e.V. und den Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER) auf eine historisch-politische Perspektive verengt worden. Eine politische Debatte um Geschichte und Aufarbeitung ist in Gang gesetzt worden.
Doch eine in die Zukunft gerichtete Debatte und um die Prioritäten von Frieden, Zivilisation und Klimawandel ist dabei aber leider behindert worden.
Als im Kiez aufgewachsener Berliner und als ehemaliger Schüler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums bin ich unzählige Male die Wissmannstraße entlang gekommen. Mir liegen die Zukunft, Humanität und strategisches Vorausdenken näher.
Und so habe ich einen ganz anderen Vorschlag:
„Die Möglichkeit einer Auswechslung des Namensgebers der Wissmannstraße wurde nicht ernsthaft geprüft!“
Hermann von Wissmann (* 2.9.1896 in Etzweiler, † 5.9.1979 in Zell am See, war deutsch-österreichischer Arabienforscher und Professor für Geografie. Er ist Sohn des umstrittenen kolonialen Reichskommissars und Gouverneurs Hermann Wilhelm Leopold Ludwig Wissmann.
Dessen Sohn hat sich als Forscher vor allem mit der antiken Geographie Südarabiens (heute Yemen) und der fast vergessenen Geschichte dieses Raums beschäftigt.
Er entwickelte eine Chronologie des Alten Südarabien und gilt als wichtigster Verfechter der so genannten Langen Chronologie, welche die Anfänge des Sabäerreiches bis ins 8. Jahrhundert v. Chr. datiert.
Namensgeber – statt Straßenschilder auswechseln
Ein Wechsel des Namensgebers der Wissmannstraße wäre heute auch eine wichtige Anregung, den Blick auf den barbarischen Krieg im Yemen zu lenken, und endlich neue Friedensbemühungen und Hilfsaktionen für die dort verhungernde Bevölkerung anzustoßen.
Auch die große Geschichte des Königreiches von Saba sollte damit neu ins Bewußtsein geholt werden.
Die Altertumsgeschichte Süd-Arabiens mit den Reichen Saba, Ausan. Qataban und Hadramaut zu Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. bis zur Ausbreitung des Islam ab 632 n.Chr. zeigt Wurzeln einer Hochkultur und Bewässerungskultur, die bis heute auch die arabische und yemenitische Identität prägt, und das heutige Überleben im Klimawandel sichern kann.
Mit dem Fernhandel entlang der Weihrauchstraße, die von Dhomar (Oman) über Gaza nach Damaskus führt, kamen Weihrauch, Myrrhe, Zimt und Safran bis nach Europa, die damals als begehrte und teuer bezahlte Waren,
Handel und Wohlstand verbreiteten.
Die Zeit drängt: im Yemen steht heute auch die ganze Wiege der Zivilisation mit der Ausprägung von Hitzezonen vor der Auslöschung durch den Klimawandel.
Eine Würdigung des Arabienforschers Herrmann von Wissmann wäre ein wichtiges Zeichen, die Geschichte und altes Wissen zu integrieren, um den Blick ganz auf die Zukunft konzentieren zu können. Dazu gehört auch, die arabischen Kulturen und ihre Identitäten in die Weltgemeinschaft zu integrieren.