Mittwoch, 30. April 2025
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„Muss Jahn jetzt weg?“

Statue von Friedrich Ludwig Jahn

Kommentar von Michael Springer

Die Linkspartei bläst zum Sturm auf das Jahn-Denkmal im Volkspark Hasenheide! — Ganze 70 Frauen-Initiativen im Netzwerk Frauen in Neukölln haben sich zum Protesttag verabredet: „Jahn muss weg!“

Mit einer Kundgebung, Musik, Performance und Picknic soll der Forderung Nachdruck verliehen werden.

Ob Initiativen alle befragt wurden, entzieht sich der Recherche, es würde Wochen dauern, alle zu befragen! — So ist nicht bekannt, ob etwa „Kiezsport Mädchen und junge Frauen“ oder die „Wilde Hütte, Mädchensportzentrum Gesellschaft für Sport und Jugendsozialarbeit gGmbH (GSJ)“ den Protest mit unterstützen.

Immerhin: das Netzwerk Frauen in Neukölln fordert: „Schluss mit der Ehrung für einen Urheber
ausgrenzender und menschenverachtender Ideologien“
— ein Allgemeinplatz, den heute alle staatlichen Förderempfänger-Initiativen aus dem Programm „Demokratie leben“ teilen!

Jahn wirkte aktiv von 1811 bis 1819

Historisch ist das natürlich Unsinn, denn Jahn war nur acht Jahre seines Lebens öffentlich aktiv! Im 33. Lebensjahr hat er 1811 den Turnplatz in der Hasenheide geschaffen, im 41. Lebensjahr wurde er 1819 verhaftet!
Danach wurde Jahn von den jeweiligen Machthabern vereinnahmt., war mal königstreuer Nationalist (1871-1918), der für sein unerschütterliches Eintreten für die Einheit Deutschlands sogar ins Gefängnis ging. Von den Nazis wurde Jahn als der um hundert Jahre vorausdenkende erste Nationalsozialist rnißbraucht. Danach wurde er von der DDR-Ideologie vereinnahmt, die es auch bei der Erfindung des Thälmann-Mythos nicht so genau mit Faktizität nahm, und 331 Denkmäler und Gedenkstätten in der DDR und der Welt erbauen ließ..

„Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei“ war ein Freiheitssignal

Das Jahn-Denkmal in Köln aus dem Jahr 1928 sollte nicht vergessen werden! — Der 15 Meter hohe Stahlbetonpfeiler mit dem Kreuz aus den vier „F“ für für das Motto der Deutschen Turnerschaft „Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei“ wird die Zeiten überleben. Friedrich-Ludwig Jahn wird auch in Neukölln bleiben, denn das kulturelle Erbe des Sports gehört zur Olympia- und Sportstadt Berlin.

In der alten Bundesrepublik Deutschland haben diverse politische Gruppierungen unterschiedliche Einordnungen vorgenommen. Mal stützten sie sich auf Jahns nationale Gesinnung, andere hoben seine sozialen Tendenzen hervor — immer wurde Friedrich-Ludwig Jahn „posthum vereinnahmt.“

In der Zeit der studentischen Kulturrevolution von 1968 wurde Jahn sogar als „Stargammler“ bezeichnet, denn er hatte nie einen schulischen und universitären Abschluß geschafft.

Einzig unbestritten waren die Anerkennung seiner Verdienste um die Schaffung des „vaterländischen Turnens,“ wie es im zeitgenössischen Sprachgebrauch hieß.

Jahn wurde mehrfach als historische Figur vereinnahmt

Sieghard Below von der Abteilung Sportgeschichte am sportwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität plädierte 2011 in der taz: „Jahn ist eine ambivalente Person, die anfällig für nachhistorische Betrachtungen ist.“— „Seinen Nationalismus und radikalen Franzosen- und Judenhass muss man auch als Überreaktion seiner Zeit verstehen.“ Damals war Berlin von Napoleon und französischen Truppen besetzt.

Mit seinen pädagogischen Prinzipien ,,Selbständigkeit“ und ,,.Selbsttätigkeit“ im Turnen war Jahn damals seiner Zeit weit voraus.

Der freie Zusammenschluß von überwiegend Schülern und Studenten auf der Hasenheide und den anderen Turnplätzen in Deutschland war von der sozialen Herkunft sehr uneinheitlich – heute sagt man „divers“. — Jugendliche Turnerscharen rekrutierten sich ,,aus allen Ständen (..) vom Waisenknaben bis zum Fürstensohne“. Sie unterwarfen sich freiwillig – dann aber bindend – der von Jahn und seinem Turnrat erstellten Turnordnung. Sie sprachen sich mit „Du“ an und kleideten sich in altdeutscher Tracht, um die seit Jahrhunderten bestehende, in verschiedene Stände unterteilte Gesellschaftsordnung zu überwinden.

Heute droht Geschichtslosigkeit

Wenn heute staatlich geförderte Fraueninitiativen und die Linkspartei dieses historische Erbe negieren und tilgen wollen, beseitigen sie damit auch die Kenntnis der historischen Voraussetzungen, auf denen die Deutsche Frauenbewegung ab 1865 entstehen konnte. — Die Überwindung der Ständegesellschaft war in Deutschland die Vorbedingung für die Entstehung des Bürgergesellschaft und die Revolution von 1848.

Mit Ressentiments, ideologischen Fiktionen und Perzeptionen lassen sich die historischen Fakten nicht tilgen! — Wer sich heute im Wettbewerb mit anderen Kulturen befindet, kann die eigene Kultur nicht einfach aufgeben. Widersprüche und historische Brüche sind als gegeben zu akzeptieren — und als Herausforderung und Mahnung zu verstehen, die Zukunft mit dem Wissen um Gefahren und Brüche zu gestalten.